Sind Frontalunterricht und Hausaufgaben noch zeitgemäß? (2)

Hausaufgaben – helfen sie beim Lernen oder verhindern sie es?

Diese Frage stand am Ende des 9. #EdchatDE, einer intensiven Diskussion unter „Bildungsmenschen“  auf Twitter über den Sinn von Hausaufgaben.

Die Rahmenbedingungen

Die Rahmenbedingungen für das Maß und die Bewertung von Hausaufgaben sind in Niedersachsen über das Schulgesetz geregelt. Interessant ist der Satz: „An Ganztagsschulen ist den Schülerinnen und Schülern umfassend Gelegenheit zu geben, Hausaufgaben im Rahmen der von der Schule vorgehaltenen Arbeits- und Übungsstunden bereits in der Schule zu erledigen.“ Dies bedeutete bei weiterer Zunahme von Ganztagsschulen, dass „Haus“-Aufgaben im eigentlichen Sinne an Bedeutung verlören. Gleichzeitig würden häusliche Vor- oder Nachteile der einzelnen Schüler ausgeglichen, da allen dieselben – in der Schule vorgehaltenen – Mittel zur Anfertigung der Aufgaben zur Verfügung ständen.

Helfen nun aber Hausaufgaben beim Lernen – oder verhindern sie es?

Dazu muss man die verschiedenen Aufgaben betrachten, die Hausaufgaben erfüllen sollen.

Verantwortungsübernahme: „Ich weiß, was ich aufhabe“

Gerade am Anfang der Schulzeit müssen Schülerinnen und Schüler häufig erst lernen, Aufgaben, die ihnen übertragen werden, verantwortungsbewusst zu erfüllen. Manche Kinder kommen in die Schule, ohne jemals selbstständig einen größeren Auftrag wie Einkaufen, Botengänge etc. übernommen zu haben. Für diese Kinder ist es eine Leistung, sich an Dinge, die ihnen in der Schule aufgegeben wurden, zuhause wieder zu erinnern und sie auszuführen. Auch das Notieren von Hausaufgaben muss erst erlernt werden. Ich stelle den Eltern die Hausaufgaben digital über ein Wiki zur Verfügung.  Dennoch sollen die Kinder ihre Hausaufgaben zusätzlich selbst notieren, um langsam Verantwortung für ihr Lernen zu übernehmen: Ich schreibe mir in meinem Heft auf, was ich aufhabe. Dazu kommt die Bitte an die Eltern, erst abzuwarten, bevor sie von sich aus nach eventuellen Hausaufgaben fragen.

Langfristig führt das zu einem planvollen, strukturierten, gewissenhaften Arbeiten. In der Schule. Zuhause. In der Arbeitswelt.

Zumindest stellen wir uns das so vor.

Üben ist die Mutter des Könnens

Hausaufgaben sind m. E. unabdingbar für das Erlernen auswendig zu wissender Fakten – Vokabeln, Einmaleinsreihen, Merksätze, Basisformeln der Mathematik. Lerntechnisch ist es sinnvoll, Dinge, die sich dauerhaft einprägen sollen, in handhabbaren Portionen regelmäßig zu wiederholen. Der Regelunterricht bietet dafür nicht ausreichend Zeitfenster, Hausaufgabenzeiten in der Schule sind häufig zu unruhig und zu beengt, um eine geeignete Atmosphäre für diese Art des Lernens zu schaffen.

Es gibt auch Fähigkeiten, bei denen regelmäßiges häusliches Üben den Lernerfolg spürbar erhöht –  Lesen und Vorlesen zum Beispiel, aber auch Kopfrechnen und Rechtschreiben.

Wichtig scheint mir dabei, die Hausaufgaben so zu gestalten, dass sie ein abwechslungsreiches, lustvolles Üben ermöglichen und/oder unterstützenden Eltern Hilfen und Anleitungen an die Hand zu geben, wie diese Art von Hausaufgaben stressfrei und vielleicht sogar gewinnbringend als „Zeit nur für uns“ erledigt werden können.

Hausaufgaben als Vorbereitung 

Das Hauptprinzip des Flipped Classroom besteht daraus, dass Schülerinnen und Schüler als Hausaufgabe Lernvideos schauen, sich gegebenenfalls mit Unterstützung durch Fragen, Quizzes, Arbeitsblättern den Lernstoff aneigenen und in der Schule direkt über den Stoff diskutiert, bzw. das Gelernte angewendet und geübt werden kann, wobei die Lehrkraft zur Unterstützung bei der Bewältigung der Aufgaben zur Seite steht. Diese Art von „Hausaufgaben“ ist ortsungebunden. Schülerinnen und Schüler können sie an jedem Ort in der Schule, Zuhause, auf dem Schulweg, zwischen Nachmittagsaktivitäten erledigen, soweit ihnen ein (internetfähiges) Gerät zur Verfügung steht, mit dem sie das Video abspielen können. Hausaufgaben als Vorbereitung können aber auch im Lesen von Texten oder der ergebnisoffenen Beschäftigung mit einer Problemlöseaufgabe bestehen.

Bei selbstständigen Lernern kann diese Art von Hausaufgaben sinnvoll und sehr effektiv sein. Auch hier erhöht die Kreativität der Aufgabenstellung die Erfolgsquote bei der Bearbeitung. Wichtig ist, dass die Aufgaben sinnstiftend für die nächste Stunde sind.

Diagnostik: „Zeige mir deine Fehler und ich kann dir gezielt helfen“

Diese Funktion von Hausaufgaben lässt sich nur in einem Umfeld praktizieren, in dem Eltern und Lehrer einander vertrauen und Schülerinnen und Schüler sich sicher fühlen. Selbstständig, ohne weitere Hilfe angefertigte Hausaufgaben sind eine großartige Möglichkeit, Fehlkonzepte, Über-, bzw. Unterforderung und Entwicklungsrückstände zu entdecken. Die Bedingung ist, dass die Eltern genau wissen, dass sie nicht helfend oder erklärend eingreifen dürfen, dass die Aufgaben aber auch nur angemessen konzentriert und motiviert bearbeitet, nicht aber „korrekt“ oder vollständig gelöst werden müssen. Dies erfordert eine intensive, vertrauensbildende Elternarbeit.

Für mich als Lehrkraft bietet sich dann die Möglichkeit, die gemachten Fehler zu analysieren, Fehlerursachen zu finden und entsprechende Konzepte für die Förderzeiten zu entwickeln. Andererseits bekommen Kinder Aufgaben, die sie an die eigenen Grenzen führen und teilweise über den Unterrichtsstoff (weit) hinausgehen. In der Bearbeitung der Aufgaben zeigen sich  Anstrengungbereitschaft (kämpft man sich durch?) und der reale Leistungsstand. Für manche begabte oder hochleistungsfähige Kinder ist dies die erste Begegnung mit „echter Lernanstrengung“, da ihnen der Stoff des für sie aktuellen Curriculums bereits bekannt ist oder „einfach zufällt“.  Da solche Kinder „Routineaufgaben“ und Aufgaben, die überwiegend auf Üben beruhen, häufig ablehnen, ist es einfacher, solche Aufgaben in der Schulatmosphäre erledigen zu lassen und die herausfordernden, spannenden Aufgaben nach Zuhause auszulagern (in der Schule aber entsprechend zu würdigen). Dies erspart allen Beteiligten unnötigen  Hausaufgabenstress. Manche Kinder zeigen auch, dass sie den Hausaufgaben (noch) nicht gewachsen sind, sei es, dass diese zu schwer oder mengenmäßig zu viel sind. Hier habe ich eine Vereinbarung mit den Eltern. Die Kinder sollen 30 min (nicht unbedingt am Stück) konzentriert arbeiten. Sind bis dahin die Aufgaben nicht geschafft, reicht eine kurze Notiz der Eltern. In einem Iterationsprozess wird so nach und nach eine angemessen Hausaufgabenmenge und -schwierigkeit gefunden. Vertrauend auf die Idee, dass Kinder neben Wachstumsschüben auch „Lernschübe“ haben, haben bisher alle meine Schülerinnen und Schüler solche Phasen geringerer Belastbarkeit überwunden. Wichtig ist dabei, dafür zu sorgen, dass keine Lernlücken entstehen. Übungsrückstände können später, in besseren Tagen, aufgeholt werden.

Diese Art diagnostischer und differenzierter Hausaufgaben erfordert eine engmaschige Kontrolle der Hausaufgaben und eine gute Vorbereitung. Die Schulzufriedenheit und Lernfreude der Kinder  sind diesen Mehraufwand meiner Meinung nach aber wert. Dem Lernerfolg dienen sie auf jeden Fall.

„Ich lerne, was ich will“

Meine liebsten Hausaufgaben aus der eigenen Schulzeit: Referate vorbereiten. Dies geht im schulischen Umfeld sicher auch, vielleicht mit Unterstützung einer Lehrkraft beim Erlernen von Methoden sogar noch besser als allein zuhause. Ich habe diese Aufgaben genutzt, um mich mit Themen auseinanderzusetzen, die mich gerade interessierten, den eigentlichen Schulstoff aber nur peripher berührten. Und ich danke meinen Lehrern, dass sie mich haben machen lassen, was ich wollte 😉

Diese Möglichkeit gebe ich auch meinen Schülern – mit wechselndem Erfolg. Während die Grundschüler solche Angebote gerne wahrnehmen oder sogar selbst einbringen, möchten viele Sekundarstufenschüler lieber vorgegebene Themen, bei denen sie das Verhältnis von Einsatz und Nutzen auf Grundlage ihrer Schulerfahrung abschätzen können. Ökonomisches Schülerleben.

„Ich arbeite, wann ich will“

Eine Schwierigkeit bei Hausaufgaben ist, dass sie zu bestimmten Zeiten angefertigt werden sollten, meist am Nachmittag des Tages, an dem sie gestellt werden, denn am nächsten Tag sollen sie im Unterricht ja vorgezeigt werden. Leider passt das nicht immer in den Plan der Familie oder zu den außerschulischen Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. In meinen besten Zeiten schaffe ich es, den Unterricht für die Woche so vorzustrukturieren, dass ich bereits am Montag einen Plan über alle in der Woche anfallenden Hausaufgaben ausgeben kann. So können sich Schülerinnen und Schüler das Arbeitspensum über die Woche hinweg selbstständig einteilen. In der Grundschule ist dies problemlos möglich, wenn man alle Hauptfächer unterrichtet. Sollte einmal ein Stoff erst im Lauf der Woche vermittelt werden, gibt es Bemerkungen zu den Aufgaben wie “ Bitte nicht vor … bearbeiten“.

Ich sehe keinen sachlichen Grund, warum dies nicht auch in der Sek1  möglich sein sollte, zumal wenn alle beteiligten Kolleginnen und Kollegen mit digitalen Hilfsmitteln vertraut sind. Es ist lediglich eine Frage der Selbstorganisation und der guten Stundenplanung. Die „Aufräumarbeiten“ nach einer verpatzten Stunde in die Hausaufgaben zu verlagern, ist damit nicht mehr möglich.

Die Reaktionen von Eltern auf diese „Hausaufgaben-Wochenpläne“ waren sehr positiv. Viele berichteten davon, dass sich die „Hausaufgabenlage“ zuhause dadurch sehr entspannt hätte. Mir ermöglichten sie zudem, die Hausaufgaben für jedes Kind individuell zu stellen. Die Ausarbeitung der Pläne und ihre Durchsicht erfordern allerdings einen großen Zeitaufwand.

„Die Kinder haben ja nie was auf“

Wer fordert eigentlich Hausaufgaben?

  • Die Schulanfänger, weil Hausaufgaben zum „Schulespielen“ dazugehören, genauso wie Bankreihen, Schulbücher, Hefte und eine Tafel.
  • Die Eltern, weil eine Schule ohne Hausaufgaben ihrer eigenen Schulerfahrung widerspricht und sie sich eine Schule ohne Hausaufgaben nicht vorstellen können.
  • Die Lehrer, weil häusliches Üben in einigen Fächern den Lernerfolg zumindest verbessert, wenn nicht erst ermöglicht. Oder aus den oben angeführten Gründen.

Glücklicherweise kann ich meinen Unterricht so organisieren, dass Übungsphasen in den Unterricht integriert werden können. So erledigt sich das Thema „Hausaufgaben“ meist von selbst. Es gibt keine. Oder nur für die Kinder, die (bei reichlich zugestandener Zeit) aus selbst zu verantwortenden Gründen das Pensum nicht geschafft haben. Dies führt bei Eltern zu Irritationen, genauso wie die Tatsache, dass nicht alle Kinder immer dasselbe aufhaben.

Für die Eltern meiner Schülerinnen und Schüler  habe ich einmal zusammengestellt, welche Erwartungen ich an sie und die Erledigung von Hausaufgaben, so es welche gibt, habe:

Was ist Ihre Aufgabe bei den Hausaufgaben?

Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind die Hausaufgaben sorgfältig, selbstständig und mit Freude bearbeitet.
Loben Sie Ihr Kind auch für kleine Fortschritte, für seine Selbstständigkeit und seine Leistungsbereitschaft.
Unterhalten Sie sich mit ihm über die Aufgaben. Was ist besonders gut gelungen? Was war schwer? Welche Aufgaben waren „doof“ oder langweilig? (Loben, dass es diese Aufgaben trotzdem gemacht hat!)

Sorgen Sie nicht dafür, dass die Hausaufgaben richtig sind.
Die Hausaufgaben sind aus dem Unterricht entstanden, Ihr Kind sollte selbst wissen, was es zu tun hat.
Fehler in den Hausaufgaben zeigen mir, dass Ihr Kind etwas nicht richtig verstanden hat oder noch nicht kann.
Verbessern Sie seine Fehler, schätze ich den Leistungsstand Ihres Kindes womöglich falsch ein, gebe ihm nicht die nötigen Hilfen, die es bräuchte oder überfordere es.

Überfordern Sie Ihr Kind nicht.
15-30 Minuten (konzentrierte) Arbeitszeit sind genug.
Was dann nicht beendet ist, bleibt für diesen Tag unvollständig.
Bitte signalisieren Sie uns dann mit einer kurzen Notiz (z.B. „30 min vorbei“), dass Ihr Kind sich ausreichend an den Aufgaben abgearbeitet hat.

Arbeiten Sie nicht in den Heften vor.
Auch wenn Ihr Kind manches schon kann – lassen Sie es nicht vorarbeiten.
Wenn Ihr Kind Aufgaben schon mechanisch erledigen kann, bedeutet das nicht unbedingt, dass es den Stoff wirklich beherrscht.
Werden dann die entsprechenden Aufgaben im Unterricht besprochen und erarbeitet, wird es sich in solchen Stunden langweilen, abschalten (oder gar stören) und wichtige Grundlagen nicht mehr erfassen. Das wäre schade und rächt sich spätestens in Klasse 3.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Kind unterfordert ist, sprechen Sie uns an.
Normalerweise erkennen wir aber das Leistungsvermögen Ihres Kindes recht schnell und fordern es angemessen heraus.
Nicht immer, nicht jeden Tag, aber immer, wenn es sich anbietet.

Auf eine gute Zusammenarbeit!

Als Mutter habe ich bei Schulfreunden meiner Kinder mehrfach erlebt, welchen Stress und innerfamiliäre Zerrüttung Hausaufgaben bewirken können. Das sind sie nicht wert und dies möchte ich den Eltern „meiner“ Schülerinnen und Schüler ersparen.

Wiki zum EdchatDE von André Spang

Zusammenfassung des 9. EdchatDE von G. Cierniak

4 Kommentare
  1. Mir gefällt besonders die Idee der Wochen-Aufgabenpläne. Auch die Hinweise an Eltern finde ich interessant.

  2. Ihr Beitrag lässt mich zwiespältig zurück. Einerseits begeistert mich die Berücksichtigung so vieler Aspekte des Themas, andererseits gibt es da noch die Praxis der Hausaufgabenbetreuung AUS ELTERNSICHT. Und zwar insbesondere derjenigen Eltern, die sich hier nie zu Wort melden würden: Weil sie beispielsweise als Alleinerziehende zu wenig Zeit haben, um ihre Kinder im gebotenen Maß zu unterstützen oder sich an Blogdebatten zu beteiligen. Die von Ihnen dargestellte ideale häusliche Hausaufgabenbetreuung kann nur in einem Haushalt umgesetzt werden, in dem ein Elternteil (und je nach Zahl der zu betreuenden Kinder zusätzliche einige Nachhilfelehrer) zuhause ist und die Hausaufgabenbetreuung umsetzt.

    Dem Missstand, dass sich das nur die wenigsten Familien leisten können, würde theoretisch die Ganztagsschule Abhilfe verschaffen – in der Praxis tut sie das jedoch nicht ansatzweise. Durch personell Unterversorgung oder die mangelnde Qualifizierung des Aufsicht führenden Personals ist es fast die Regel, dass Ganztagsschüler Hausaufgaben mit nach Hause bringen. Die Prüfungsvorbereitung findet allemal zuhause statt, was dann bedeutet: nach 17 Uhr und am Wochenende.

    Nein, unsere Kinder lernen mitnichten in einer idealen Welt. Und deshalb müssen wir uns als Gesellschaft nochmal ganz grundlegend Gedanken über das Üben der Lerninhalte machen. Wann, in welchem zeitlichen Umfang und auf Grundlage welcher pädagogischen Konzeption das in der Schule untergebracht werden kann. Solche Gedankengänge können wir uns als eine der reichsten Gesellschaften durchaus leisten, möchte ich meinen.

    Wir müssen dies tun, auch damit Familien wieder zu familiären Begegnungsstätten werden. Und die Eltern-Kind-Beziehung nicht dadurch Beschädigung erfährt, dass Eltern als Ersatzlehrer ihre Kinder vom Mittagessen bis zum Zubettgehen gängeln müssen.

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