Unterricht in Zeiten der Corona-Krise II
Zwei Wochen Frühjahrsferien sind vorbei und drei neue Wochen der Schulschließung.
Nachdem kurz nach Ostern klar war, dass die Schulschließung andauern würde – ich hatte ja zu dem Zeitpunkt noch gehofft, nach Ostern könnten wir „normal“ weitermachen – fielen die letzten Urlaubstage der Unterrichtsplanung und -vorbereitung zum Opfer. *)
Prämisse der Planung war: Gestalte den Unterricht so, dass du ihn auf diese Weise bis zu den Sommerferien fortsetzen könntest.
Basis des Unterrichts blieb Learningview. Die Plattform hatte sich inzwischen weiterentwickelt, die Serverkapazität ausgebaut und neue Funktionen eingerichtet. Die Struktur, die wir gewählt haben, lässt sich aber sicherlich mit jedem anderen LMS genauso umsetzen. Hatten wir vor den Ferien die Aufgaben der Kinder in Tage gegliedert, begann ich nun, Themenblöcke anzulegen. Dadurch sind das Zuteilen der Aufgaben an Lerngruppen und das Teilen von Themen unter Kolleg:innen deutlich einfacher. Während ich vorher Aufgaben, die ich wiederverwenden wollte, in den einzelnen Tagen zusammensuchen musste, war nun alles ordentlich an seinem Platz. Die Tagesaufgaben, die ich als Pflichtinhalt setzten wollte, „pinnte“ ich an. Das war eine der neuen Funktionen von Learningview. Die Kinder sehen diese Aufgaben in ihrer Ansicht zuerst. Wird eine solche Aufgabe bearbeitet, verschwindet sie aus ihrer Liste, nicht aber aus dem Themenblock. Dadurch können auch später Korrekturen nachgereicht werden. Zusätzlich hatte ich die Lerngruppe unterteilt, um Aufgaben zielgenauer zuweisen zu können, bzw. die Aufgaben die alle bearbeiten sollten, nicht dreimal verteilen zu müssen. Es gab nun also drei (binnendifferenzierte) Gruppen für die Hauptfächer, Themenblöcke für alle in Musik, Kunst, Sport und Sachunterricht. Englisch wäre nur für die Drittklässler Pflicht. Da es aber in den jüngeren Jahrgängen auch Kinder gibt, die entweder großes Interessse daran zeigten oder zweisprachig aufwachsen, gab ich auch diesen Block für alle frei.
Dieser Strukturwechsel war für die Eltern anfangs etwas schwer zu durchschauen, aber nach wenigen Tagen fand jeder seine Aufgaben. Der Chat, den Learningview inzwischen bereitstellte, war dabei eine große Hilfe. Die ersten Anfänge waren sehr zögerlich, „Wie, das können alle lesen?“ war der nächste Schock, aber bereits in der zweiten Woche hatte sich der Chat etabliert und wurde eifrig zum Austausch, aber auch für Fragen genutzt, sowohl von den Kindern (ab Klasse 2) als auch von den Eltern. Wir hatten Learningview während unserer Homeoffice-Zeiten eigentlich permanent offen, sodass eine Antwort in akzeptabler Zeit gegeben werden konnte. (Wir haben aber nicht immer geguckt – das wird im nächsten „Block“ besser, weil ich es nun geschafft habe, meine Zeichenoberfläche als zweiten Monitor anzuschließen). Der Chat wurde jeden Abend komplett gelöscht und morgens neu aufgesetzt, um ihn übersichtlich zu halten.
Die Aufgaben wurden überwiegend von meiner Kollegin korrigiert, dies aber weiterhin täglich und mit immer genauerem Feedback. Am Wochenende habe ich dann bei den „speziellen“ Kandidaten vorbeigeschaut, unter der Woche bei meinen „Lieblingsaufgaben“. Deren Ergebnisse waren oft für mich die Motivation, weiterhin viel Energie ins Erfinden interessanter Aufgaben zu stecken.
Zunehmend sollten auch Ergebnisse in Padlets eingestellt werden. Dies gelang – trotz Erklärungen und Erklärvideos – nur spärlich. Meine Intention dabei war, dass nicht nur Eltern und Pädagogen die Ergebnisse der Kinder sehen, sondern auch sie untereinander. So sollten sie eine Möglichkeit bekommen, das Niveau ihrer Ergebnisse selbst einzuschätzen, es sollte aber auch den Gruppenzuammenhalt stärken. Erst mit dem letzten Padlet mit Vogelbildern und Vogelsteckbriefen ist uns dies einigermaßen gelungen. Hier haben auch die Kinder erstmals gegenseitig kommentiert. Auf Aufgaben, die ein gemeinsames Ergebnis erbringen, muss ich also weiterhin sehr achten und entsprechende (verpflichtende) Aufgaben stellen.
Jeden Morgen gab es nun um 9.30 Uhr einen Morgenkreis per Videochat, der abwechselnd von meiner Kollegin der mir geleitet wurde. Wenn möglich, war der zweite Pädagoge im Hintergrund, um Teilnehmer aus dem Wartebereich einzulassen, den Chat zu beobachten und gegebenenfalls Mikrophone stummzuschalten. Da unsere Schule Office365 nutzt und Zoom „böse“ ist, haben wir dazu Teams genutzt **). In der dritten Woche hatten es dann bis auf zwei Kinder alle geschafft, an diesen Morgenmeetings zumindest ab und zu teilzunehmen. Wir haben dabei die Struktur der Morgenkreisthemen aus den Vor-Corona-Zeiten wieder aufgegriffen, freitags gab es sogar Klassenrat. Zumindest ein vertrautes Element retten….
Ergänzt wurde die Einzelarbeit zuhause nun erstmals durch Videounterricht. Jede Lerngruppe bekam zweimal in der Woche eine „Unterrichtsstunde“ von 30 Minuten, aber manchmal haben wir auch „überzogen“. Nach einer kurzen Begrüßung wurde sehr konzentriert gearbeitet und neuer Stoff vermittelt. Für mich war das ein enormer Lernprozess. Während ich gerade für die Erstklässler zuerst vorgehen wollte wie in unserem „Lernkreis“, merkte ich bald, dass Kameraposition und Übertragungsqualität vielem schnell ein Ende setzen.
Zeit | Montag | Dienstag | Mittwoch | Donnerstag | Freitag |
9.30-10.00 | Morgenkreis Wochenende |
Morgenkreis Mathe |
Morgenkreis Emotionen |
Morgenkreis Naturwissenschaft |
Klassenrat |
12.00-12.30 | Klasse 1 Mathe |
Klasse 2 Mathe |
Klasse 1 Deutsch |
Klasse 2 Deutsch |
|
14.00-14.30 | Klasse 3 Mathe |
Klasse 3 Deutsch |
Handpuppe? Ja, aber bitte langsam bewegen! Enaktives Material? Erstmal die Kameraposition üben! Mit der Handkamera (eine alte anklemmbare Webcam) umzugehen, will gelernt sein, alles ist irgendwie seitenverkehrt… Der Wechsel von der stationären Laptopkamera zur Webcam funktionierte hingegen problemlos, sobald die Webcam am USB-Anschluss hing. Handpuppe, Material UND Webcam war dann aber doch ein bisschen viel für mich.
Nach einigen analogen Versuchen (Material auf Tisch, Material mit Klebepunkten auf Pappschnellhefter, Schreiben mit Boardmarker auf weißem Tablett – alles nicht so der Brüller…) bin ich zum digitalen Tafelbild übergegangen. Mit unserer Whiteboardsoftware habe ich das Tafelbild, besser: die Inszenierung der Inputphase, vorbereitet. Die Kinder kennen diese Art der Vermittlung aus dem Unterricht. Im Videounterricht habe ich das Board geöffnet und per Screensharing mit den Kindern geteilt. Sie hatten dann das Tafelbild im Vollbild vor Augen. Da die Lerngruppen sehr klein (5 – 8) waren, konnten fast alle ***) ihre Mikrophone offen lassen und einfach „reinrufen“, wenn sie eine Antwort wussten oder eine Frage hatten. Ich konnte sie an den Stimmen relativ sicher erkennen und persönlich ansprechen. Die meisten Kinder waren sehr aktiv dabei – vielleicht noch mehr als im Regelunterricht, weil sie sich nicht melden mussten.
Ich jedoch hatte das Gefühl eines „Blindflugs“. Mit dem Vollbild des Tafelbildes im Screensharing hatte ich auf dem Monitor – das Vollbild des Tafelbildes. Kein Teams, keine Kinder, kein Chat, keine Rückmeldung über das, was sie sahen. Die Kinder haben immer brav auf meine verzweifelten Fragen geantwortet – Seht ihr was? Seht ihr das Tafelbild? Ihr müsst das Mikro anmachen und reinrufen! Ich sehe euch nicht, NICHT MELDEN! Aber selbst das hatte sich bald eingespielt, wie überhaupt die Kinder großartig waren! Schnell hatten sie raus, dass erst einmal alle das Mikro schließen müssen, falls es Echos gibt oder pfeift (am besten wäre es natürlich, wenn alle Kopfhörer hätten, aber die liegen in der Schule) oder warteten geduldig, wenn das Video trotz Vorladens im Screensharing ruckelte und wir statt des versprochenen Videos dann eine Standbildshow machten. Ein Teil dieser Probleme hat sich aber nun mit der Einbindung des zweiten Monitors gelöst. Ich werde den geteilten Bildschirm auf dem einen, die Lerngruppe auf dem anderen Monitor sehen können. Zumindest hat das im Testlauf am Wochenende so funktioniert.
Nachdem die Eltern in der ersten Woche skeptisch waren, sahen viele, wie souverän ihre Sprösslinge inzwischen an der Videokonferenz teilnahmen, und nutzten diese Zeit für sich. Andere nahmen an der Konferenz teil, auf unsere Bitte hin aber ungesehen im Hintergrund, da sich sonst einige Kinder nicht trauten, etwas zu sagen. Für uns war das schon ungewohnt, so „öffentlich“ zu unterrichten, aber auch das ist letztlich eine Frage der Gewöhnung. Die Beweggründe der Eltern waren unterschiedlich. So sagte eine Mutter, sie würde gerne mithören, um nicht Verstandenes dann genauso erklären zu können, wie wir es in der Videostunde gemacht haben, andere waren einfach neugierig oder hatten in dem Raum zu tun, in dem der beste Internetempfang ist.
Einige Kinder aber kamen mit dem Videounterricht nicht zurecht. Zu laut, zu fremd, zu furchtbar, daran erinnert zu werden, dass man nicht beisammen sein kann. Für diese Kinder haben wir versucht, individuelle Regelungen zu finden. Zwei Kinder schauen und hören nur zu, haben aber die eigene Kamera aus und möchten auch in der großen Morgenkreisgruppe nichts sagen. In der kleineren Lerngruppe hingegen beteiligen sie sich aktiv. Ein Kind hat die Möglichkeit des kompletten Opt out gewählt und nimmt an den Videokonferenzen nicht teil. Da aber die Lernergebnisse regelmäßig eintreffen und wir in engem Email-Kontakt mit den Eltern stehen, ist das für mich vertretbar. Sollten wir jedoch nach den Ferien mit einem ähnlichen Modell längere Zeit weitermachen müssen, müssen wir hier eine neue Lösung finden.
Die Kinder in der Notbetreuung konnten ebenfalls an dieser Art des Unterrichts teilnehmen. Sie bekamen individuell ein iPad zugeordnet, das ihnen im Laufe des Tages stets zur Verfügung stand. Nachdem die Betreuer die Kinder einmal bei Learningview angemeldet hatten (das können fitte Kinder über den QR-Code ihres Zugangs auch selbst erledigen) und Teams eingerichtet hatten, konnten die Kinder selbstständig arbeiten. Zu den Videokonferenzen wurden sie von der Konferenzleitung jeweils manuell „eingeladen“ – dann rappelt das Tablet ganz gewaltig und das Kind muss nur noch auf „Annehmen“ drücken, um in der Konferenz zu sein.
Insgesamt schauen wir auf drei arbeitsintensive, aber auch interessante Wochen mit schönen Momenten zurück. Wenn nun der nächste Block mit wieder neuen Rahmenbedingungen kommt, besitzen wir schon ein gutes Gerüst für das Fernlernen, auf dem wir weiter aufbauen können. Die Kinder sind eingearbeitet, die Eltern entspannt – so kann es weitergehen!
*) Da wir unter anderen Verträgen arbeiten als Lehrer im staatlichen Schuldienst, trifft das schon hart. Wir haben wirklich nur – wie viele andere Arbeitnehmer – 30 Tage, die wir aber dann „echt“ nehmen können. Blöd nur, wenn äußere Umstände sie dann doch auffressen. Aber ohne Vorbereitung in den Montag zu stolpern – das geht im Präsenzunterricht, nicht aber, wenn die ersten Kinder morgens um 7.00 Uhr ihre Aufgaben abrufen!
**) Dennoch traure ich Zoom sehr nach. Die Übertragungsqualität ist einfach viel besser und es gibt mehr Features, die wir für unseren Einsatz bräuchten.
***) bis auf die Kinder mit rauschenden Mikrophonen bzw. starken Hintergrundgeräuschen